Die erste Begegnung war eine Überraschung. Auf anderen Bühnen spielten Blind Guardian, Iron Maiden, Metal Church, Saxon. Die Crème de la Crème der härteren Gangart. Die Rede ist vom Wacken Open Air, Medienberichten zufolge ein Treffpunkt von wildem Volk bei krachenden Klängen. Aaaber – zum Programm des Jahres 2016 gehörten auch Blechblos’n, Vogelfrey, The O’Reillys and the Paddyhats, Mr. Hurley & Die Pulveraffen. Und die Red Hot Chilli Pipers. Da mag der eine oder die andere an einen Druckfehler im Programm gedacht haben. Oder an eine Tributeband?
Text und Fotos: Harald Keller
Der Gitarrist mit langen Haaren und schwarzer Sonnenbrille fügte sich noch einigermaßen ins Bild, aber die anderen Herren wirkten verhaltensauffällig: Sie trugen Schottenröcke und spielten Sackpfeifen. Das Repertoire umfasste Klassiker des Hardrockgenres wie „Smoke On The Water“ und AC/DCs „Thunderstruck“, Traditionals und Eigenkompositionen. Popsongs wie Aviciis „Wake Me Up“ oder „Gonna Make You Sweat (Everybody Dance Now)“ des US-amerikanischen Dance-Music-Projekts C+C Music Factory durchliefen die Pipers-Behandlung. Will sagen: die Verschmelzung von Rock, auch Pop und Soul mit keltischer Folklore, oft versetzt mit einer gehörigen Prise Humor. Klingt abenteuerlich, brachte die Pipers aber im Laufe einer langjährigen Karriere nicht nur nach Wacken, sondern führte sie rund um den Globus.
„Bagrock“ nennen sie ihr musikalisches Konzept, dessen Ursprung in das Jahr 2002 zurückreicht. Oder, etwas wortreicher: „Bagpipes with attitude, drums with a Scottish accent …“. AC/DC wiesen einst den Weg und würzten 1975 ihre inzwischen zum Klassiker gewordene Singleveröffentlichung „It’s A Long Way To The Top (If You Wanna Rock ’n’ Roll)“ mit einem Call-and-Response-Duell zwischen Angus Youngs Sologitarre und Bon Scotts Dudelsack, dessen Beherrschung er sich gerade erst angeeignet hatte.
Das Gründungsmitglied der Red Hot Chilli Pipers Kevin MacDonald, zuletzt auf der 2016er-Veröffentlichung Octane dabei, erinnerte sich 2022 in einem Interview: „Es war mehr oder weniger ein Hobby, als wir anfingen, und entwickelte sich zu einem honorierten Hobby.“ 2005 erschien das erste Studioalbum, das nur den Bandnamen als Titel trug und sich eher mäßig verkaufte. 2007 nahm die Band an der BBC-Talentshow When Will I Be Famous? teil und gewann nicht nur das Preisgeld in Höhe von 10.000 Pfund, sondern auch enorm an Popularität. Im selben Jahr erschien das Album Bagrock To The Masses, überschrieben in Anspielung auf Depeche Modes Music For The Masses, und wurde ein Hit. Der Durchbruch war geschafft.
Seither ziehen die scharfen Pipers mit ihrer „high-energy fusion of traditional Scottish music and rock/pop anthems“ – so formulierte es der Journalist Sean Wallace – durch die Lande. Sie traten mit Ed Sheeran und Tom Walker auf, spielen in Clubs und auf großen Festivals. Ihr guter Ruf als Liveband eilt ihnen voraus.
An diesem Abend im Osnabrücker Musikclub Rosenhof sind alle Generationen im Publikum vertreten, von gerade erst bis nicht mehr führerscheinreif. Man sieht Pipers-Shirts und Männer in Schottenröcken. Die Pipers selbst haben sich wieder einmal verjüngt. Ihre Tour heißt wie ihr jüngstes Album: „Back To Roots“. Gemeint sei, so sagt Piper Ross Miller im Gespräch mit folker.world, ein teilweiser Rückgriff auf Titel, die in früheren Besetzungen bereits im Programm waren oder auf Tonträger erschienen sind, aber „mit einem neuen Twist“. Der rockige Charakter wird, beispielsweise im Vergleich mit dem sehr groovigen Album Fresh Air von 2019, wieder stärker herausgestellt. Auch auf technischem Gebiet. Am Bühnenrand entlang sind neuerdings Effektgeräte aufgebaut, mit denen sich, ähnlich wie bei Gitarren, die Klänge modulieren lassen. Lightshow und Nebelmaschine unterstützen die Tendenz zum Rock-Erlebnis, zu dem selbstredend auch getragenere Töne – beispielsweise Coldplays „Fix You“ – gehören.
Die Dauerbrenner der Pipers fehlen nicht: ZZ Tops „Gimme All Your Lovin’“, Aviiciis „Wake Me Up“, Journeys hymnisches „Don’t Stop Believin’“ werden durch die Sackpfeifen geblasen. Dazu Titel aus der einschlägigen Literatur wie „400%“ von Lincoln Hilton und „Hellbound Train“ des Australiers Mark Saul. „Highland Cathedral“, seit je im Repertoire und schon auf ihrem Debütalbum enthalten, wird in deutscher Sprache angesagt, denn die Komponisten des Titels, der zur heimlichen Nationalhymne Schottlands wurde, waren der deutsche Sackpfeifenvirtuose Michael Korb und der Produzent Uli Roever († 1997).
Noch einmal erklingt die deutsche Sprache. Mit Blick auf ihre deutschen Fans haben die Pipers auch Andreas Bouranis „Auf uns“ keltisches Kolorit verpasst, an diesem Abend interpretiert von Gastsängerin Nicole Caldwell, die bereits 2019 mit den Pipers auf Tour war.
Eine Spezialität der Pipers sind Mashups und Medleys. Sie verweben Fremd- mit Eigenkompositionen, mit klassischen Jigs und Reels, streuen Zitate ein. Bei den Studioaufnahmen folgt auf beißende E-Gitarrenklänge und kraftvolle Bagpipes auch mal ein souliges Saxofon oder eine Bläsersektion. Auf der Bühne steht immer der Spaß im Vordergrund und springt schnell über auf das Publikum. „Wir nehmen uns nicht allzu ernst. […] Wir bieten Non-Stop-Vergnügen, von Anfang bis Ende.“ Kevin MacDonalds Bekenntnis aus dem Jahr 2022 gilt auch für die neue, jüngere Generation der Pipers.








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